Skip to main content

Anomalie: Extrem warmer Nord-Atlantik - Hitze, Dürre und Unwetter - was sind die möglichen Folgen für Deutschland?

| M. Hoffmann
Superzelle über Deutschland

Mit dem Wetter stimmt seit einiger Zeit was nicht. Dass etwas nicht stimmt, lässt sich im Wesentlichen mit der Klimaerhitzung begründen. Die Westwetterlage existiert gewissermaßen nicht mehr und lässt sich nicht einmal mehr im Ansatz erkennen. Mit ein Grund hierfür ist eine extreme Temperaturanomalie auf dem Nord-Atlantik, die sich innerhalb kürzester Zeit hat entwickeln können und Wissenschaftler aufhorchen lässt.

Dürre, Gletscherschmelze, Unwetter, Sturzfluten, Hurricanes, Artensterben, Insektensterben usw.. All diese Dinge gehören zu einer langen Kette von Abhängigkeiten, welche mit der Klimaerhitzung einhergeht und so lange Zeugs verbrannt wird, wird sich an diesen Superlativen nichts ändern - im Gegenteil - das, was heute noch ein Superlativ ist - wie Wüstentage (Temperaturen von mehr als +35 Grad) - werden in den kommenden Jahren eher zum neuen Normal gehören. Extremhitze mit mehr als +40 Grad gehört dann zu den Superlativen.

Extreme Temperaturanomalie des Nord-Atlantiks

Die mediale Aufmerksamkeit steigt, keine Frage, erst recht, seitdem Wissenschaftler von neuen Daten der Temperaturanomalie auf den Meeresoberflächen regelrecht schockiert sind. Wer bei uns regelmäßig zu Gast ist, dem ist das nichts Neues. Bereits im November 2022 hatten wir auf diese extreme Anomalie auf dem Nord-Atlantik hingewiesen und im März 2023 erneuert (Wettertrend Sommer: Die Wahrscheinlichkeit eines Hitze- und Dürresommer 2023).

Was uns verwundert hat, ist die Anzahl der Anfragen, welche wir in den vergangenen Tagen aufgrund der neuesten Daten erhalten haben - und die Fragen waren im Kern immer die Gleichen: Welche Auswirkungen haben diese Anomalien auf Deutschland?

Die extreme Anomalie

Bevor wir näher auf die Frage eingehen, zunächst einmal der IST-Zustand im Vergleich zu den Vorjahren. Betrachten wir einmal die Anomalie. Die schwarze Linie ist der aktuelle Zustand der SST (Sea Surface Temperature). Die ist - global betrachtet - im Vergleich zu 2022 um +0,3 Grad wärmer. Im Vergleich zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 liegt die Anomalie bei +0,7 Grad. Wärme ist Energie und bei den globalen Wassermassen ist das eine enorme Energiemenge, die da gespeichert ist.

Extreme Anomalie der Wassertemperaturen
Anomalie der globalen Wassertemperaturen © www.climatereanalyzer.org

Der ungewöhnlich warme Nord-Atlantik

Betrachtet man nur den Nord-Atlantik, so liegt die Differenz zu 2022 bei +0,8 Grad und zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 bei +1,0 Grad. Das zeigt, wie ungewöhnlich die Anomalie im Vergleich zu den ohnehin schon warmen Weltmeeren ist.

Extreme Anomalie der Wassertemperaturen
Extreme Anomalie des Nord-Atlantiks © www.climatereanalyzer.org

Der Vergleich

Vergleicht man den Nordatlantik vom Juni mit dem Juni von 2013, 2003 (Jahrhundertsommer) und 1983, so wird das Ausmaß der Anomalie noch deutlicher hervorgehoben.

Extreme Anomalie der Wassertemperaturen
Extreme Anomalie der Wassertemperaturen © www.climatereanalyzer.org

Was sind die möglichen Folgen für das Wetter über Deutschland?

Lange Rede, kurzer Sinn - diese Anomalien gab es so bislang nicht. Insofern sind auch keinerlei Ableitungen aus vergangenen Jahren möglich. Es ist ein neuer Zustand, der sich in Zeiten der Klimaerhitzung ergeben hat und die kommenden Jahre werden zeigen, wohin die Reise geht. Insgesamt aber bedeutet diese Anomalie nichts Gutes und das aus vielerlei Gründen.

These 1: Zusammenbruch des Golfstroms

Die Annahme, dass der Golfstrom an Schwung verliert, ist nichts Neues und wurde in Studien auch schon belegt Studie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung). Vor der Studie war nicht klar, ob die Abschwächung des Golfstroms zu einer normalen Fluktuation gehört oder nicht. Die Studie aber hat ergeben, dass der aktuelle Zirkulationszustand des Golfstroms so schwach ist, dass ein unumkehrbarer Übergang zum schwachen Zustand möglich ist. Mit anderen Worten nähert sich der Golfstrom einem Zustand, bei dem das System zusammenbrechen kann.

Das Golfstromsystem ist aktuell so schwach, wie seit 1.000 Jahren nicht mehr und das ist eine klare Ansage! Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Golfstrom in etwa 30 Mal mehr Wasser bewegt, als alle Flüsse der Welt zusammen!

Die Folgen eines zusammenbrechenden Golfstroms

Ein sich abschwächender Golfstrom ist im direkten Zusammenhang mit einer zunehmenden Meridionalisierung von Großwetterlagen absolut plausibel. Ohne Golfstrom fehlen weitere Temperaturgegensätze und die Hochdruckzone wird schwerfälliger und zunehmend dominanter. Zudem heizt die Sonne den Atlantik - aufgrund der fehlenden Tiefdruckaktivität und Winden - weiter auf und das System pendelt sich in einen trägen Zustand ein. Mit anderen Worten werden die Großwetterlagen stabiler und dauern länger an. Wechselten sich früher die Großwetterlagen alle ein bis zwei Wochen ab, so kann eine Wetterlage mit einer entsprechenden Erhaltungsneigung nun mehrere Wochen oder Monate andauern und das ist möglicherweise erst der Anfang.

Also exakt das, was man seit 2018 in immer länger andauernden Abschnitten beobachten kann. Meridional anstatt Zonal.

These 2: Schnellerer Rückgang arktischen Meereises

Nicht gut, schon gar nicht für Freunde des Winterwetters und alle, welche mit Hitze schlecht umgehen können - darunter zählen nicht nur Menschen! Warum? Aufgrund der extremen - so bis jetzt nicht dagewesenen Anomalie der Wasseroberflächentemperaturen - wird auch das arktische Meereis schneller dahinschmelzen. Geht das arktische Meereis zurück, so verlagern sich auch die Temperaturgegensätze nach Norden. Das wiederum hat zur Folge, dass sich die Tiefdrucksysteme noch weiter von Deutschland entfernen und die Westwetterlage zu einem anderen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr in Erscheinung treten kann.

Meereisausdehnung Stand Juni 2023
Meereisausdehnung Stand Juni 2023

Lang andauernde Hochdruckwetterlagen

Der Platz, der durch die fehlende atlantische Frontalzone frei wird, nehmen Hochdrucksysteme ein und sorgen für längere trockene Abschnitte. Seit 2018 lässt sich dieses Phänomen in einem sich intensivierenden Vorgang beobachten. Insbesondere im Frühjahr, Sommer und Herbst. Immerhin gelingt es der Frontalzone, sich im Winter noch bemerkbar zu machen. Sollte sich das arktische Meereis aber weiter zurückziehen, so werden in Zukunft die Hochdruckgebiete über Mitteleuropa das Wettergeschehen dominieren können. Trockenheit und Dürre können somit das neue Normal sein.

Zusammenbruch des Jetstreams

Man sieht in der nachfolgenden Grafik, dass die Meereisausdehnung von Januar bis April noch unter dem absoluten Minimum von 2012 bewegt hat und auch jetzt nicht weit davon entfernt ist. Weit entfernt ist die aktuelle Meereisausdehnung in der Arktis von dem, was normal ist. Aber ja, eines Tages wird die Meereisausdehnung im Sommer sich der 0 km-Marke nähern. Dann tummeln sich die Tiefdrucksysteme nur noch um das kalte Wasser der Polarregion herum. Einen Jetstream - das Starkwindband - wird es dann nicht mehr oder nur noch in abgeschwächter Form geben.

These 3: Meridional verlaufende Großwetterlagen

In Ableitung der These 1, mit Zusammenbruch des Golfstroms werden meridional verlaufende häufiger in Erscheinung treten. Nimmt das arktische Meereis weiter ab, so ist das ein verstärkender Faktor von meridionalen Großwetterlagen. Meridional bedeutet, dass die Grundströmung entweder von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord verläuft. Seit 2018 nehmen Süd-Nord-Strömungen rasant zu. Meridionale Wetterlagen aber sind nicht bekannt für großartige Niederschlagsmengen und ja, auch hier wird das Thema Trockenheit und Dürre deutlich hervorgehoben.

Links die früher üblichen Westwetterlagen, rechts daneben die meridionalen Wetterlagen
Links die früher üblichen Westwetterlagen, rechts daneben die meridionalen Wetterlagen © www.meteociel.fr

These 4: El-Niño - das verstärkende System

Jetzt ist es aber so, dass diese extreme Temperaturanomalie der Wassermassen exakt dann in Erscheinung tritt, wenn La Niña aufhört und El-Niño beginnt. Kurz zur Erklärung. La Niña sorgt - vereinfacht ausgedrückt - für eine Abkühlung des Pazifischen Ozeans, die bis zu 3 Grad betragen kann.

El-Niño ist das Gegenteil. Der Pazifik erwärmt sich und wird zu Anomalien führen. Dass diese zu Beginn gleich so extrem sind, lässt vielleicht erklären, warum einige Wissenschaftler momentan so schockiert von den aktuellen Daten sind. Wir haben die aktuellen Daten einmal mit denen der starken El-Niño Phasen von 1997/98 und 2015/16 miteinander verglichen. 2015/16 war im Übrigen der drittstärkste El-Niño in den vergangenen 65 Jahren.

Was man erkennen kann, dass die Ausprägung im Juni 2023 schon deutlich größer und viel weiter fortgeschritten ist. Die Folgen bleiben abzuwarten. Insgesamt aber erkennt man in allen vier Thesen eine immer weitere Fortschreibung der Extreme.

Status des ENSO-Warnsystems: El Niño-Hinweis
Es werden El Niño-Bedingungen beobachtet Die äquatorialen Meeresoberflächentemperaturen (SSTs) sind über dem Durchschnitt im östlichen, zentralen und östlichen Pazifik überdurchschnittlich hoch.
Die atmosphärischen Anomalien im tropischen Pazifik stehen im Einklang mit schwachen El Niño Bedingungen.
Es wird erwartet, dass sich die El-Niño-Bedingungen über der Nordhalbkugel im Winter 2023/24 verstärken werden.

Extreme Anomalie der Wassertemperaturen
Extreme Anomalie der Wassertemperaturen © www.climatereanalyzer.org

Wasser hat eine begrenzte Wärmeaufnahmekapazität

Thermische Energie - so bezeichnet man die Wärmeaufnahmekapazität der Ozeane. Die freigesetzte Energie fossiler Brennstoffe wird zu 2 Prozent in der Luft und zu 90 Prozent in den Ozeanen gespeichert. Die Ozeane sind also ein riesiger Pufferspeicher, welche die Klimaerhitzung auf einen längeren Zeitraum abgemildert haben. Die Pufferspeicherung ist aber nicht von Dauer und die Ozeane geben Wärmenergie ab, während sich die Luft weiter erwärmt. Im Umkehrschluss beschleunigt dieser Prozess den Anstieg der Temperaturen in den letzten und auch in den kommenden Jahren im spürbaren Maße.

Weitreichende Folgen für das Wetter über Deutschland?

Wie eingangs erwähnt, handelt es sich um einen Zustand, den es so bisher nicht gegeben hat. Entsprechend lassen sich auch keine Schlussfolgerung für das Wetter über Deutschland ableiten. Was aber klar ist, dass der Wärmeüberschuss des Nord-Atlantiks nicht gerade zuträglich für das Meereis über der Arktis sein wird - und das hat unmittelbare Konsequenzen für den Jetstream und das Wetter über Europa, welche man seit 2018 genau beobachten kann. Lang anhaltende Hitzephasen, aber auch Starkregen samt Überflutungen und Hochwasser werden wohl häufiger in diesem Sommer zu sehen sein.

Aktuelle Wettervorhersagen

Unterstützen
Sie uns!
Ihnen gefallen unsere Wettervorhersagen? Wir freuen uns über einen freiwilligen Geldbetrag in einer von Ihnen gewünschten Höhe.
Betrag wählen

Regenradar

Regenradar Deutschland
© Deutscher Wetterdienst, Offenbach (DWD)