Wetter: Extreme Anomalie auf dem Atlantik - Auswirkungen auf den Winter über Deutschland?
Mit dem Wetter stimmt
seit einiger Zeit was nicht und lässt sich im Wesentlichen mit der Klimaerhitzung begründen. Global gesehen wird ein Rekord nach dem anderen aufgestellt und das Jahr 2023 ist drauf und dran, das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu werden. Ein Phänomen aber begleitet und fasziniert uns seit jetzt genau einem Jahr. Dieses Phänomen spielt sich auf dem Nordatlantik ab und zeigt sich in einer gigantischen Warmwasserblase. Was ist das, woher kommt diese und welche Auswirkungen wird das auf das Wetter im Winter über Deutschland haben?
Die Klimaerhitzung kann man sich vorstellen wie einen Lichtschalter. Lange erzeugt man Druck, bis der Schalter kippt und nachfolgend verändert sich alles. Kippmomente, so nennt man diese Momente in Zeiten der Klimaerhitzung, die - anders als bei einem Schalter - unumkehrbar sind. Dazu gehören Gletscherschmelze, Artensterben, Veränderungen von Grundströmungen. Man befindet sich in einem Zustand, den es so noch nie gab und so fehlen schlichtweg die Erfahrungswerte. Wenn man so will, befindet man sich inmitten eines großen Experimentes mit der Lebensgrundlage von Mensch und Tier. Exakt vor einem Jahr hatten wir auf dem Atlantik eine einzigartige Temperaturanomalie feststellen können, die auch noch im Sommer aktiv war. Die Fachwelt ist von diesem extremen Temperatursprung überrascht und kennt die detaillierten Ursachen bisher nicht, sind aber von diesem ungewöhnlichen Temperatursprung regelrecht schockiert. Forschungsarbeit ist nötig.
Ein sich weiter abschwächender Golfstrom
In der Theorie aber werden diese Anomalien wohl mit einem sich abschwächendem Golfstrom in Zusammenhang stehen. Dem einen oder anderen mag es schon aufgefallen sein. Die klassische Westwetterlage gibt es schon lange nicht mehr und vermehrt treten meridional verlaufende Großwetterlagen in Erscheinung. Dieses Phänomen beobachten wir seit etwa 2010 häufiger. Seit 2018 hat es an rund 28 Monaten in Folge keine Westwetterlage mehr gegeben, die ihrem Namen gerecht wurde und auch in der jüngeren Vergangenheit konnte man - nachhaltige - Westwetterlagen an einer Hand abzählen. Wenn man so will, gab es in den vergangenen 63 Monaten kaum mehr die für Deutschland so typischen Westwetterlagen. Meridional bedeutet, dass das Strömungsmuster nicht zonal von West nach Ost, sondern von Nord nach Süd und von Süd nach Nord verläuft.
Hochdruckwetterlagen in Dauerschleife
Mitverantwortlich für die meridionalen Wetterlagen sind Hochdrucksysteme. Dabei gibt es zwei Formationen zu unterscheiden. In der ersten Variante dehnt sich ein Hoch auf dem Atlantik nach Norden aus und blockiert die atlantische Frontalzone. Eine Westwetterlage ist nicht mehr möglich. In diesem Sommer war der Störimpuls des Hochdrucksystems so stark, dass sich keine Frontalzone mehr hat entwickeln können. Ein Novum!
In der zweiten Variante baut sich das Hoch über Mitteleuropa auf und dehnt sich weit nach Norden aus. Die atlantische Frontalzone wird blockiert und führt im Verbund mit dem Hoch warme Luftmassen nach Deutschland. Auch diese Wetterlage hat man in diesem Jahr häufiger feststellen können.
Großwetterlagen werden beständiger
Beide Varianten haben eines Gemeinsam - zu warmes und trockenes Wetter. Aber es gibt sie, die Durchbrüche der Tiefdrucksysteme - doch geschieht das in einem meist gradientenschwachen Umfeld, was wiederum Niederschläge über einen längeren Zeitraum an Ort und Stelle niedergehen lässt. Die Großwetterlagen halten länger an und kommt es nach einer Dürrephase zu Starkniederschlag, fließt der Regen an der Oberfläche zu schnell ab und kann nicht in den Boden versickern. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Grundströmungen in den kommenden Jahren noch verstärken werden.
Ursachenforschung
Mit eine Ursache für die veränderten Grundströmungen beim Wetter ist der Golfstrom. Die Annahme, dass der Golfstrom an Schwung verliert, ist nichts Neues und wurde in Studien bereits im August 2021 belegt (Studie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).
Der Golfstrom steht kurz vor dem Zusammenbruch
Spielt man dieses Phänomen durch, so nähert sich der Golfstrom einem Zustand, der kurz vor dem Zusammenbruch steht. Bestätigt wurde die Studie durch Christopher G. Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts und Lisa Beal von der Universität von Miami. Das Golfstromsystem ist aktuell so schwach, wie seit 1.000 Jahren nicht mehr und das ist eine klare Ansage! Warum aber ist der Golfstrom so wichtig für unser Klima und Wetter in Mitteleuropa?
Die Umwälzbewegung des Golfstromes bewegt pro Sekunde etwa 20 Millionen Kubikmeter Wasser und transportiert dabei mehr als eine Million Gigawatt an Wärmeenergie. Dies entspricht nahezu dem Hundertfachen des gesamten Energieverbrauchs der Menschheit. Die Studie hat herausgefunden, dass sich der Warmwassertransport um 1,2 Milliarden Liter pro Sekunde verringert hat.
Der Golfstrom verlangsamt sich
Der Trend, dass sich der Golfstrom abschwächt, den gibt es seit rund 40 Jahren und hat sich in den vergangenen 10 Jahren weiter intensiviert. In Summe sind das rund 1,2 Milliarden Liter Wasser pro Sekunde, die jetzt weniger nach Norden geführt werden. Was aber ist die Folge von einem langsam werdenden Golfstromes? Warme Wassermassen werden aus südlichen Richtungen nach Norden geführt, kühlen ab und Süßwasser wird entzogen. Die Salzwasserkonzentration nimmt zu und da kaltes und salziges Wasser schwerer
ist, sackt es nach unten ab und zieht an der Oberfläche warmes Wasser nach. Das ist - stark vereinfacht - der intakte Golfstrom.
Eine so noch nie dagewesene Anomalie des Nordatlantiks
Wenn durch die Klimaerhitzung die Eismassen stärker und schneller abschmelzen, wird dem System mehr Süßwasser zugeführt und vermischt sich mit dem Salzwasser. Das wiederum führt dazu, dass sich die schwere Wassermasse
verdünnt und nicht mehr nach unten absinken kann. Was folgt, ist ein ins Stottern geratenes System.
Da nun aber von Süden weiter warme Wassermassen nachfolgen und nicht mehr abgebaut werden können, kommt es zu einem Stau der warmen Wassermassen. An anderer Stelle sinken die kalten Wassermassen nicht mehr ab und bilden den sog. Cold Blob. Schaut man ich die nachfolgende Grafik einmal an, so erkennt man das Dilemma. Anzumerken ist, dass der August 2003 der Jahrhundertsommer
war.
Die Folgen für das Wetter im Herbst und Winter über Deutschland
Wo eine Aktion ist, ist zwangsläufig eine Reaktion festzustellen. Aktio gleich Reaktio. Welche Ursachen die Warmwasserblase auf dem Nordatlantik haben wird, bleibt im Detail noch abzuwarten. Warum? Das gab es so bislang nicht und Erfahrungswerte fehlen. Aber es gibt Thesen, mit denen man arbeiten kann. Bevor wir aber tiefer einsteigen, noch ein anderes Diagramm, welches verdeutlicht, mit welcher Anomalie wir es zu tun haben.
Die extreme Anomalie der Weltmeere
Bevor wir näher auf die Frage eingehen, zunächst einmal der IST-Zustand im Vergleich zu den Vorjahren. Betrachten wir einmal die Anomalie. Die schwarze Linie ist der aktuelle Zustand der SST (Sea Surface Temperature). Die ist - global betrachtet - im Vergleich zu 2022 um +0,4 Grad wärmer. Im Vergleich zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 liegt die Anomalie bei +0,8 Grad. Wärme ist Energie und bei den globalen Wassermassen ist das eine enorme Energiemenge, die da gespeichert ist.
Der ungewöhnlich warme Nord-Atlantik
Betrachtet man nur den Nord-Atlantik, so liegt die Differenz im Vergleich zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 bei +1,0 Grad. Das zeigt, wie ungewöhnlich die Anomalie im Vergleich zu den ohnehin schon warmen Weltmeeren ist.
These 1: Stationäres Tiefdruckverhalten
Warmes Wasser hat einen höheren Energiegehalt und Energie kann nicht vernichtet, sondern nur umgewandelt werden. Jetzt ist es aber so, dass sich das erhöhte Energiepotential zwischen dem östlichen Kanada und Grönland befindet. Für gewöhnlich strömen im Winter kalte Luftmassen über dem östlichen Kanada nach Süden aus, treffen bei Neufundland auf den warmen Atlantik. Kräftige Tiefdrucksysteme entstehen. Infolge dessen etabliert sich die atlantische Frontalzone und drängt in Richtung Skandinavien. Abschließend befinden sich Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer zonal verlaufenden Grundströmung mit einem wechselhaften, windigen und nasskaltem Wetter.
Hochdruckblase Mitteleuropa
In der Annahme, dass in der Geburtsstätte der atlantische Frontalzone ein erhöhtes Energiepotential vorherrscht, werden die Tiefdrucksysteme kräftiger und drücken auf ihrer Vorderseite einen Hochdruckkeil nach Norden. Das Hoch wird versuchen, einen Ausgleich herzustellen. Da sich Hochdrucksysteme im und Tiefdrucksysteme gegen den Uhrzeigersinn drehen, liegen Deutschland, Österreich und die Schweiz im Zustrom ungewöhnlich warmer Luftmassen aus südwestlichen bis südlichen Richtungen. Zudem ist Niederschlag Mangelware, da das Hochdrucksystem die Wetterlage dominiert und die atlantische Frontalzone auf Abstand hält.
Die Konsequenzen
Da sich beide Wettersysteme in Schach
halten kann man das Grundprinzip der sog. Erhaltungsneigung anwenden. Über Wochen hinweg wird sich am grundlegenden Muster nichts ändern, also exakt das, was man seit 2018 verstärkt feststellen kann.
Eiswinter
und extrem warmer Winter möglich
Sollte sich das Hoch über Europa behaupten können, so wäre am Tage häufiger mit Nebel zu rechnen. Die Nächte sind deutlich länger als die Tage, was die Temperaturen weiter auskühlen lässt. Zudem sinkt der Sonnenstand im Winkel weiter ab und so kann es unter bestimmten Voraussetzungen dazu kommen, dass die Kälte im Winter vor Ort produziert wird und mit jedem Tag an der dieser Zustand anhält, es kälter werden kann. Verlagert sich das Hoch noch etwas weiter nach Norden - in Richtung Skandinavien - werden in Bodennähe kalte Luftmassen von Kontinent zugeführt und die Kaltluftproduktion wird endgültig angeworfen. Ja, mit solch einem Szenario lässt sich ein kalter Winter durchaus diskutieren.
Erfahrungsgemäß aber lässt das Hoch die atlantische Frontalzone auflaufen und es stellt sich eine Südwestwetterlage ein. Das Hoch füllt sich zudem von oben herab mit warmen Luftassen auf und mit viel Sonnenschein steigen die Temperaturen in ungewohnte Höhen an. Als Beispiel ist Silvester 2022 zu benennen, als mit +20,8 Grad in Bayern ein frühsommerlicher Tag ermöglicht wurde. Eine Abwandlung der Südwestwetterlage ist eine phasenweise in Erscheinung tretende Zonalisierung - die Westwetterlage.
These 2: Gestörtes Zirkulationsmuster
Kommen wir zu einer gewagten
These. Seit 2016 hat sich vermehrt eine sog. gestörte Zirkulation feststellen lassen. Als gestört gilt alles, was eine nachhaltig agierende Westwetterlage samt Tiefdruckrinne verhindert und das trat seit 2016 überproportional häufig auf. Und ja, schwindet der Golfstrom, so schwindet auch die Zufuhr von warmem Wasser in Richtung Skandinavien. Das Druckgebilde nimmt ab und Hochdrucksysteme haben im gradientenschwachen Umfeld ein leichteres Spiel. Hochdruckzonen halten auch im Winter für längere Zeit an.
Vollständig und absolut gestört
Bei den gestörten Zirkulationsmustern gilt es zwischen drei Erscheinungsformen zu unterscheiden. Oben ist mit einem Skandinavienhoch die normal gestörte
Zirkulation abgebildet, welche die atlantische Frontalzone blockiert und am südlichen Gradienten kalte Luft aus östlichen Richtungen nach Deutschland führt.
Mäandrierende Großwetterlage
Daneben gibt es noch die vollständig gestörte Zirkulation, die ebenfalls mit einem Skandinavienhoch in Erscheinung treten kann. Entscheidend aber ist, wie weit sich die Hochdruckzone nach Westen ausdehnen und die Frontalzone verhindern kann. Kuriose - gestörte - Zirkulationsmuster kommen so zustande. Meist mäandriert die Großwetterlage infolge daraus, was die Chancen auf Winterwetter über Deutschland, Österreich und der Schweiz erhöht.
Zum Abschluss noch die absolut gestörte Zirkulation. Diese kommt dann zustande, wenn sich das Skandinavienhoch über das europäische Nordmeer weiter in Richtung Grönland und Kanada entwickeln kann. Die atlantische Frontalzone wird bereits im frühen Entwicklungsstadium gestört und muss andere Wege finden. Meist geschieht das über das europäische Nordmeer und da sich das Hoch über Grönland befindet und sich im Uhrzeigersinn dreht, werden mithilfe des Tiefdrucksystems über Skandinavien kalte Luftmassen nach Süden geführt. Also ja, Winterwetter lässt sich mit der Warmwasserblase im Grundsatz nicht ausschließen.
Wie wird der Winter?
Abwarten ist angesagt. Die Temperaturanomalie auf dem Nordatlantik ist ungewöhnlich und man wird sehen, was aus der Tiefdruckaktivität auf dem Atlantik werden wird. Diese Warmwasserblase ist zwar ein Novum, war aber bereits im letzten Winter präsent und dieser war bekanntlich mit einer Anomalie von +2,64 Grad extrem zu warm. Ähnliche Konstellationen gab es 2003, 2006, 2012 und 2013. Die Winter waren 2003 um +1,14 Grad, 2006 um +4,14 Grad, 2012 um +0,13 Grad und 2013 um +3,13 Grad gegenüber dem Klimamittelwert von 1961 und 1990 zu warm. Soviel zur Statistik. Um es aber auf den Punkt zu bringen, ist ein zu warmer bis erheblich zu warmer Winter deutlich wahrscheinlicher als ein normaler oder zu kalter Winter. Dank der meridionalen Grundströmungen aber, wird es auch kältere Nord-Süd-Phasen geben können.