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Warmwasserblase Nordatlantik - Der Golfstrom ist auf Kippkurs

| M. Hoffmann
Der Nordatlantik ist ungewöhnlich warm und der Golfstrom steht vor einem Kipppunkt - Was sind die möglichen Folgen für das Wetter?

Mit dem Wetter stimmt seit einiger Zeit was nicht und lässt sich im Wesentlichen mit der Klimaerhitzung begründen. Global gesehen wird ein Rekord nach dem anderen aufgestellt. Das Jahr 2023 war nicht nur in Deutschland das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ein Phänomen aber begleitet und fasziniert uns seit Oktober 2022. Dieses Phänomen spielt sich auf dem Nordatlantik ab und zeigt sich in einer gigantischen Warmwasserblase. Was ist das, woher kommt diese und welche Auswirkungen wird das auf das Wetter im Sommer über Deutschland haben?

Aber nicht nur über Deutschland war das Jahr außergewöhnlich, auch global betrachtet war 2023 das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Doch damit nicht genug. In den vergangenen 12 Monaten war die globale Temperaturabweichung gegenüber der vorindustriellen Zeit um +1,52 Grad zu warm. Damit wurden in 12 Monaten hintereinander das erreicht, was das Pariser Klimaschutzabkommen verhindern wollte. Die Klimaerhitzung kann man sich vorstellen wie einen Lichtschalter. Lange erzeugt man Druck, bis der Schalter kippt und nachfolgend verändert sich alles. Kippmomente, so nennt man diese Momente in Zeiten der Klimaerhitzung, die - anders als bei einem Schalter - unumkehrbar sind. Dazu gehören Gletscherschmelze, Artensterben, Veränderungen von Grundströmungen und auch das Ende des Golfstroms - der Wärmepumpe für Europa. Man befindet sich in einem Zustand, den es so noch nie gab und so fehlen schlichtweg die Erfahrungswerte. Wenn man so will, befindet man sich inmitten eines großen Experimentes mit der Lebensgrundlage von Mensch und Tier.

Forscher sind beängstigt: verheerender Kipppunkt des Golfstroms

Was vor ein paar Monaten noch graue Theorie war, ist zwischenzeitlich mit einer neuen Studie weiter bestätigt worden. Dem Golfstrom geht es nicht gut und ist so schwach wie seit 1.000 Jahren nicht mehr. Den letzten vollständigen Kollaps hat es vor rund 12.00 Jahren gegeben. Die Annahme, dass der Golfstrom an Schwung verliert, ist im Übrigen nichts Neues und wurde in Studien bereits im August 2021 belegt (Studie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).

Was neu ist, ist der Detailgrad der neuen Studie, welche einen Datensatz der letzten 4.400 Modelljahre umfasst. Neu ist auch, dass die Forscher selbst erstaunt und beängstigt über das Ergebnis sind.

Der Golfstrom steht kurz vor dem Zusammenbruch

Spielt man dieses Phänomen durch, so nähert sich der Golfstrom einem Zustand, der kurz vor dem Zusammenbruch steht. Bestätigt wurde die Studie durch Christopher G. Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts und Lisa Beal von der Universität von Miami. Warum aber ist der Golfstrom so wichtig für unser Klima und Wetter in Mitteleuropa?

Die Umwälzbewegung des Golfstroms bewegt pro Sekunde etwa 20 Millionen Kubikmeter Wasser und transportiert dabei mehr als eine Million Gigawatt an Wärmeenergie. Dies entspricht nahezu dem Hundertfachen des gesamten Energieverbrauchs der Menschheit. Die Studie hat herausgefunden, dass sich der Warmwassertransport um 1,2 Milliarden Liter pro Sekunde verringert hat.

Der Golfstrom verlangsamt sich

Der Trend, dass sich der Golfstrom abschwächt, den gibt es seit rund 40 Jahren und hat sich in den vergangenen 10 Jahren weiter intensiviert. In Summe sind das rund 1,2 Milliarden Liter Wasser pro Sekunde, die jetzt weniger nach Norden geführt werden. Was aber ist die Folge von einem langsam werdenden Golfstroms? Warme Wassermassen werden aus südlichen Richtungen nach Norden geführt, kühlen ab und Süßwasser wird entzogen. Die Salzwasserkonzentration nimmt zu und da kaltes und salziges Wasser schwerer ist, sackt es nach unten ab und zieht an der Oberfläche warmes Wasser nach. Das ist - stark vereinfacht - der intakte Golfstrom.

Eine so noch nie dagewesene Anomalie des Nordatlantiks

Wenn durch die Klimaerhitzung die Eismassen stärker und schneller abschmelzen, wird dem System mehr Süßwasser zugeführt und vermischt sich mit dem Salzwasser. Das wiederum führt dazu, dass sich die schwere Wassermasse verdünnt und nicht mehr nach unten absinken kann. Was folgt, ist ein ins Stottern geratenes System.

Da nun aber von Süden weiter warme Wassermassen nachfolgen und nicht mehr abgebaut werden können, kommt es zu einem Stau der warmen Wassermassen. An anderer Stelle sinken die kalten Wassermassen nicht mehr ab und bilden den sog. Cold Blob. Schaut man ich die nachfolgende Grafik einmal an, so erkennt man das Dilemma.

Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche
Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche © www.climatereanalyzer.org

Die Folgen für das Wetter über Deutschland

Wo eine Aktion ist, ist zwangsläufig eine Reaktion festzustellen. Aktio gleich Reaktio. Welche Ursachen die Warmwasserblase auf dem Nordatlantik haben wird, bleibt im Detail noch abzuwarten. Warum? Das gab es so bislang nicht und Erfahrungswerte fehlen. Aber es gibt Thesen, mit denen man arbeiten kann. Bevor wir aber tiefer einsteigen, noch ein anderes Diagramm, welches verdeutlicht, mit welcher Anomalie wir es zu tun haben.

Die extreme Anomalie der Weltmeere

Zunächst einmal der IST-Zustand im Vergleich zu den Vorjahren. Betrachten wir einmal die Anomalie. Die schwarze Linie ist der aktuelle Zustand der SST (Sea Surface Temperature). Die ist - global betrachtet - im Vergleich zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 um +1,1 Grad zu warm. Wärme ist Energie und bei den globalen Wassermassen ist das eine enorme Energiemenge, die da gespeichert ist.

Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche im Vergleich
Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche im Vergleich © www.climatereanalyzer.org

Der ungewöhnlich warme Nordatlantik

Betrachtet man nur den Nordatlantik, so liegt die Differenz im Vergleich zum vieljährigen Mittelwert von 1982 bis 2011 bei +1,2 Grad. Das zeigt, wie ungewöhnlich die Anomalie im Vergleich zu den ohnehin schon warmen Weltmeeren ist.

Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche im Vergleich
Die Anomalie der Temperatur der Meeresoberfläche im Vergleich © www.climatereanalyzer.org

These 1: Stationäres Tiefdruckverhalten

Warmes Wasser hat einen höheren Energiegehalt und Energie kann nicht vernichtet, sondern nur umgewandelt werden. Jetzt ist es aber so, dass sich das erhöhte Energiepotential zwischen dem östlichen Kanada und Grönland befindet. Für gewöhnlich strömen kalte Luftmassen über dem östlichen Kanada nach Süden aus, treffen bei Neufundland auf den warmen Atlantik. Kräftige Tiefdrucksysteme entstehen. Infolge dessen etabliert sich die atlantische Frontalzone und drängt in Richtung Skandinavien. Abschließend befinden sich Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer zonal verlaufenden Grundströmung mit einem wechselhaften, windigen und nasskaltem Wetter.

Das war im Übrigen die Prognose für den Winter vom Oktober! Der Winter war bislang ungewöhnlich nass und warm. Gleiches kann man auch für den Sommer mit unwetterartigen Starkregenereignissen und ungewöhnlich hohen Temperaturen erwarten.

Hochdruckblase Mitteleuropa

In der Annahme, dass in der Geburtsstätte der atlantische Frontalzone ein erhöhtes Energiepotential vorherrscht, werden die Tiefdrucksysteme kräftiger und drücken auf ihrer Vorderseite einen Hochdruckkeil nach Norden. Das Hoch wird versuchen, einen Ausgleich herzustellen. Da sich Hochdrucksysteme im und Tiefdrucksysteme gegen den Uhrzeigersinn drehen, liegen Deutschland, Österreich und die Schweiz im Zustrom ungewöhnlich warmer Luftmassen aus südwestlichen bis südlichen Richtungen.

Die Konsequenzen

Da sich beide Wettersysteme in Schach halten, kann man das Grundprinzip der sog. Erhaltungsneigung anwenden. Über Wochen hinweg wird sich am grundlegenden Muster nichts ändern, also exakt das, was man seit 2018 verstärkt feststellen kann.

These 2: Gestörtes Zirkulationsmuster

Kommen wir zu einer gewagten These. Seit 2016 hat sich vermehrt eine sog. gestörte Zirkulation feststellen lassen. Als gestört gilt alles, was eine nachhaltig agierende Westwetterlage samt Tiefdruckrinne verhindert und das trat seit 2016 überproportional häufig auf. Und ja, schwindet der Golfstrom, so schwindet auch die Zufuhr von warmem Wasser in Richtung Skandinavien. Das Druckgebilde nimmt ab und Hochdrucksysteme haben im gradientenschwachen Umfeld ein leichteres Spiel. Hochdruckzonen halten für längere Zeit an.

Vollständig und absolut gestört

Bei den gestörten Zirkulationsmustern gilt es zwischen drei Erscheinungsformen zu unterscheiden. Die normal gestörte Zirkulation, welche die atlantische Frontalzone blockiert und am südlichen Gradienten warme bis heiße und trockene Festlandsluft aus östlichen Richtungen nach Deutschland führt.

Mäandrierende Großwetterlage

Daneben gibt es noch die vollständig gestörte Zirkulation, die ebenfalls mit einem Skandinavienhoch in Erscheinung treten kann. Entscheidend aber ist, wie weit sich die Hochdruckzone nach Westen ausdehnen und die Frontalzone verhindern kann. Kuriose - gestörte - Zirkulationsmuster kommen so zustande. Meist mäandriert die Großwetterlage infolge hieraus.

Zum Abschluss noch die absolut gestörte Zirkulation. Diese kommt dann zustande, wenn sich das Skandinavienhoch über das europäische Nordmeer weiter in Richtung Grönland und Kanada entwickeln kann. Die atlantische Frontalzone wird bereits im frühen Entwicklungsstadium gestört und muss andere Wege finden. Meist geschieht das über das europäische Nordmeer und da sich das Hoch über Grönland befindet und sich im Uhrzeigersinn dreht, werden mithilfe des Tiefdrucksystems über Skandinavien kalte Luftmassen nach Süden geführt. Ein kalter bis normaler Sommer wäre die logische Konsequenz hieraus.

Wie wird der Sommer?

Abwarten ist angesagt. Die Temperaturanomalie auf dem Nordatlantik ist ungewöhnlich und man wird sehen, was aus der Tiefdruckaktivität auf dem Atlantik im Frühling werden wird. Diese Warmwasserblase ist zwar ein Novum. Um es aber auf den Punkt zu bringen, ist ein zu warmer bis erheblich zu warmer Sommer deutlich wahrscheinlicher als ein normaler oder zu kalter Sommer. Dank der meridionalen Grundströmungen aber, wird es wohl auch kühlere Nord-Süd-Phasen geben können.

Versiegender Golfstrom - was droht bei einem Kollaps?

Forscher sind selten beängstigt, weil sie ein bestimmtes Ergebnis als erwartbar annehmen. Neu ist das Versiegen des Golfstroms zudem auch nicht. Unklar ist auch, ob der Golfstrom sein Kipppunkt 2024, 2025 oder erst viel später erreichen wird. Er wird aber nach der neuen Studie seinen Kipppunkt erreichen.

Beängstigend aber sind die Berechnungen der hauptsächlich vor dem Hintergrund, dass die Warmwasserzufuhr nicht mehr gelingt und Europa extrem stark abkühlt. Die Winter werden in Etappen um 10 bis 30 Grad kälter ausfallen können. Ein Leben, wie man es vorher kannte, wird dann insbesondere über Skandinavien und England nicht mehr möglich sein.

Es ist doch nur eine Modellsimulation. Das ist der zweite Punkt, der beängstigend ist. Es handelt sich um Realdaten aus dem Südatlantik (keine Simulation), welche darauf hindeuten, dass der Golfstrom (AMOC) auf Kippkurs ist.

Und so bleibt die Schlussfolgerung, wie eingangs erwähnt: Man befindet sich inmitten eines großen Experimentes mit der Lebensgrundlage von Mensch und Tier.

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