Neue Analyse zeigt: Schwacher Polarwirbel - was das für das Winterwetter bedeutet
Normalerweise dreht der Polarwirbel im November voll auf, doch berechnen die Vorhersagemodelle bereits seit Wochen einen instabilen Polarwirbel, welcher immer wieder von Hochdruckeinschüben am Aufbau gehindert wird. Das hat auch Auswirkungen auf das Wetter. Was ist, wenn sich der Polarwirbel auch im Winter nicht stabilisiert oder nur für einen Moment auf Hochtouren läuft? Wir haben die Ursachen und die Folgen heute einmal genauer analysiert. Und gleich vorweg - die aktuellen Schlagzeilen über einen angeblich bevorstehenden Jahrhundertwinter
sind stark übertrieben und entbehren jeder seriösen Grundlage.
Seit geraumer Zeit lassen sich zwei Wetterabläufe feststellen. Zum einen gelingt es der Frontalzone auf dem Atlantik nicht, sich zu regenerieren und zum anderen meridionalisiert das Strömungsmuster mithilfe eines instabilen Polarwirbels und einer hohen Wellenbewegung entlang der Polarfront. Eine klassische Westwetterlage tritt nur noch selten in Erscheinung.
Polarluft auf dem Atlantik, Warmluft über Mitteleuropa
Wie das mit dem meridionalen Verlaufsmuster funktioniert, berechnen die Vorhersagemodelle in ihren aktuellen Prognosen bis November. Kalte Luftmassen arktischen Ursprungs werden zwischen Grönland und Island auf den Atlantik geführt und provozieren ein Tiefdruckgebiet mit einem Kerndruck von bis zu 960 hPa. Das ist ordentlich, doch wird das Tief auf seinem Weg nach Osten von einem Hochdrucksystem blockiert, welches sich von der Mittelmeerregion bis nach Skandinavien ausdehnen kann. Wenn man so will, eine Pattsituation und Deutschland, Österreich und die Schweiz liegen zwischen den beiden Wetterfronten. Da sich Hochdrucksysteme im und Tiefdruckgebiete gegen den Uhrzeigersinn drehen, werden aus südlichen Richtungen warme Luftmassen nach Norden geführt, was die die Temperaturen bei einem wechselhaften Wettercharakter ab Mitte der Woche auf +12 bis +16 Grad und Anfang November auf +14 bis +18 Grad ansteigen lässt. Über Süddeutschland kann sogar die +20-Grad-Marke nicht nur anvisiert, sondern auch überschritten werden. Wer es genauer wissen möchte: Wettervorhersage November.

Wettervorhersage der Prognose-Modelle: Pattsituation mit meridionalem Strömungsverlauf - Deutschland zwischen den Fronten © www.meteociel.fr || wxcharts.com
Normaler Verlauf des Polarwirbels
Der Polarwirbel dehnt sich im November normalerweise weiter nach Süden aus, was mit der schwächer werdenden Sonnenaktivität, der Meereisausbildung und dessen Albedoeffekt (Abstrahlung) zu einer raschen Abkühlung führt. Das Abkühlungssystem intensiviert sich bis Januar und lässt die Polarfront weiter nach Süden ausdehnen. Dort treffen kalte auf vergleichsweise warme Luftmassen und bedingt durch die Temperaturgegensätze verlagert sich das Starkwindband (Jetstream) weiter nach Süden. Die Folge daraus ist, dass die Wetteraktivität auf dem Atlantik zunimmt und über Deutschland, Österreich und der Schweiz im November allmählich den Vollherbst und im Dezember den Winter einziehen lässt.
Die Schwäche des Polarwirbels - Weniger und dünneres arktisches Meereis
Jetzt ist es aber so, dass das arktische Meereis mit der voranschreitenden Klimaerhitzung immer weiter an Volumen und Radius einbüßt. Der Abstrahlungseffekt nimmt ab und das Meer kann mehr Wärmeenergie speichern, was dem Meereis weiter zusetzt. Je kleiner das Eisschild, desto schwächer der Albedoeffekt, desto weniger kommt die Polarfront nach Süden voran, was wiederum dem Polarwirbel zusetzt (arktische Verstärkung).
Ohne arktisches Meereis verliert der Polarwirbel seine thermische Stabilität
Spielt man das Schwinden des arktischen Meereises einmal komplett durch, bis eines Tages nichts mehr vorhanden ist, hätte das fatale Folgen für den Polarwirbel.
- Die unteren Schichten des Polarwirbels (Troposphäre) werden instabiler, mäandrierender und brechen häufiger auf.
- Es kommt vermehrt zu meridionalen Strömungsmustern (Nord-Süd-Strömungen), bei denen Kaltluft weit nach Süden ausbricht und Warmluft weit nach Norden fließt.
- Der Stratosphärenwirbel (oben, in etwa 20–50 km Höhe) kann häufiger gestört werden, etwa durch sogenanntes Major Warming (Plötzliche Stratosphärenerwärmung - SSW).
- Die klassische Westwindzirkulation (zonal) würde durch ein ständiges Chaos aus blockierenden Hochs und Kälteausbrüchen ersetzt.
- In Extremfällen kann der Polarwirbel zeitweise ganz kollabieren - ein Szenario, das in einem gewissen Zeitraum zu extremen Kälte- und Hitzewellen und massiven atmosphärischen Umwälzungen führen kann. Erst im Anschluss nimmt die Dynamik ab und das Wettersystem kommt aufgrund fehlender Temperaturgegensätze zum Erliegen.
Nachfolgend der aktuelle Verlauf der Meereisausdehnung, welche 2025 über lange Strecken den Rekord aus 2012 noch übertroffen, sich im Sommer etwas erholt, sich jetzt aber wieder dem Rekord annähert.

Das arktische Meereis geht weiter zurück © nsidc.org
Auswirkungen bereits erkennbar
Wer bei uns schon längere Zeit zu Gast ist, dem mögen die obenstehenden Punkte bekannt vorkommen. Ein Major-Warming gab es früher in etwa alle 2,2 Jahre, jetzt tritt das Phänomen fast jedes Jahr ab Mitte/Ende Januar und Anfang Februar in Erscheinung.
Blockierende Wetterlagen auf dem Atlantik oder über Mitteleuropa mit eingelagerten Störimpulsen sind seit 2023 häufiger zu beobachten. Das Ausbleiben der Westwetterlagen ist seit 2012 auffällig und seit 2018 treten Westwetterlagen nur noch selten in Erscheinung. Stattdessen dominieren meridionale Wetterlagen, meist jedoch mit einer warmen Südanströmung. Nachfolgend eine Analyse der Druckanomalien von 1980 bis 2004 und 2004 bis 2025, was das Beschriebene visuell gut auf den Punkt bringt.
Deutlich erkennbare veränderte Dynamik und Struktur der Großwetterlagen © noaa.gov
Analyse der Randfaktoren - wann stabilisiert sich der Polarwirbel?
Beide Vorhersagemodelle berechnen bis zum 11. November eine allmähliche Stabilisierung des Polarwirbels dank einer reaktiven Frontalzone, welche durch einen steten Kaltluftzustrom auf dem Atlantik in Gang gesetzt wird. Doch erkennt man auch die anhaltenden strukturellen Schwächen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass die Vorhersagemodelle gerne die Reaktivierung der atlantischen Frontalzone simulieren, diese jedoch nach und nach abschwächen oder ganz aus dem Programm nehmen. Das bleibt auch dieses Mal abzuwarten, doch die Parameter gehen in die richtige Richtung.
Analysiert man die Randfaktoren wie den AO-Index (Indikator - Zustand des Polarwirbels), so ist dieser von Ende Oktober bis zum 10. November negativer bis neutraler Ausprägung, was ein klares Indiz für die strukturellen Schwächen des Polarwirbels ist.
Der NAO-Index (Verhältnis Islandtief zu Azorenhoch; Indiz auf gestörte Zirkulation) ist aktuell stark negativ, nimmt aber im Verlauf der ersten Novemberdekade allmählich einen neutralen Zustand an. Anders formuliert - da wird allmählich aufgeräumt und erst mit einem positiven NAO-Index kann man von einem ernsthaften Versuch einer Regenerierung der Frontalzone sprechen.

Die Wetterprognose nach dem europäischen und amerikanischen Prognose-Modell: Das läuft für den Polarwirbel noch lange nichts alles Rund, doch lassen sich Ansätze der Regenerierung der Frontalzone erkennen © www.meteociel.fr
Bewertung des Stratosphärenwirbels
Der Polarwirbel besteht - stark vereinfacht - aus zwei Schichten: der unteren und der oberen. Die obere hat keinerlei Auswirkungen auf das Wetter. Sie ist jedoch ein Indiz dafür, wie sich der Polarwirbel in den unteren Schichten entwickeln wird. Kommt es bspw. zu einem Major Warming, das den Polarwirbel in Stratosphärenhöhe auseinanderfliegen lässt, werden diese Auswirkungen mit einem Zeitversatz von 7 bis 14 Tagen auch in den unteren Schichten des Polarwirbels erkennbar sein.
Läuft der Stratosphärenwirbel hingegen rund und intensiviert sich, so ist ebenfalls mit einem Zeitversatz von 7 bis 14 Tagen mit einer Stabilisierung des gesamten Polarwirbels zu rechnen. Ein Indikator für den Zustand des Stratosphärenwirbels sind die Winde in 10 hPa Höhe entlang des 60. Breitengrades. Aktuell sind diese mit +21,6 km/h schwach ausgeprägt und liegen unter dem vieljährigen Mittelwert von +82 km/h. Anfang November aber intensiviert sich der Stratosphärenwirbel plötzlich und wirbelt die oberen Schichten mit bis zu +120 km/h durcheinander (Mittelwert: 102 km/h).
Im Fazit ist es durchaus plausibel, dass der Polarwirbel Mitte November an Schwung gewinnt und die Frontalzone auf dem Atlantik in Gang setzen kann. Schaun mer mal, ob das klappt - die Kontrollläufe ziehen da noch nicht mit. Aber ja, der Rückgang des Meereisschildes über der Arktis wird uns in naher und ferner Zukunft noch zu schaffen machen und Großwetterlagen zu Tage fördern, die man bisher noch nicht kannte.

Der Wettertrend nach dem Mittelwert aller Kontrollläufe: Die Kontrollläufe sind im Hinblick auf eine Regenerierung des Polarwirbel noch skeptisch aufgestellt, während sich der Stratosphärenwirbel weiter intensiviert © www.meteociel.fr

