Atlantik auf der Kippe: Was ein instabiler Nordatlantik für Europas Klima bedeutet
Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die großräumige Meereszirkulation im nördlichen Atlantik – insbesondere der sogenannte subpolare Wirbel (Subpolar Gyre, SPG) – unter dem Einfluss des menschengemachten Klimawandels instabil werden könnte. Eine neue Studie, publiziert in Geophysical Research Letters (DOI 10.1029/2025GL114611), untersucht, wie abruptes Erkalten dieses Systems nicht nur den Nordatlantik selbst, sondern auch das europäische Klima und im Speziellen Deutschland beeinflussen kann. In diesem Beitrag fasse wir die wichtigsten Ergebnisse zusammen und erläutern, welche konkreten Auswirkungen auf Wetter, Temperatur, Niederschlag und Extremereignisse in Europa und Deutschland bei einem zusammenbrechen der Meereszirkulation im nördlichen Atlantik zu erwarten sind.

Der subpolare Wirbel und seine Bedeutung für Europa. Der subpolare Wirbel ist ein großes, zyklonales Strömungssystem südlich von Grönland. Er entsteht durch kalte, salzreiche Wassermassen, die in den Labrador- und Irminger-Seegebieten absinken, und treibt so die atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) an. Diese transportiert warmes subtropisches Wasser in den Norden und reguliert dadurch das Klima in Westeuropa.
Fällt die Wirbelstärke abrupt ab, kommt weniger Wärme aus den Tropen, und der Nordatlantik kühlt spürbar ab. Die Studie zeigt, dass Modelle der neuesten Generation (CMIP6) in einigen Szenarien eine rasche Abkühlung um mehrere Grad innerhalb von nur wenigen Jahren simulieren.
Temperaturentwicklung in Europa
In Europa würde eine solche SPG-Abkühlung zu einer signifikanten Absenkung der Oberflächentemperaturen führen – im Bereich von 1 bis 3 Grad im nordwestlichen Europa und bis zu 2 Grad in Mitteleuropa. Für Deutschland bedeutet das konkret: Wintermonate könnten wieder kälter ausfallen, während die Sommerhitze zumindest vorübergehend abgemildert würde. Langjährige Mittelwerte, die heute noch eine Erwärmung von über 1 Grad pro Jahrzehnt zeigen, könnten durch einen Abrutsch des SPG temporär neutralisiert oder sogar invertiert werden.
Niederschlagsänderungen und Extreme
Die Abkühlung im Nordatlantik wirkt sich auch auf Druckverteilungen und damit auf Luftstrommuster aus: Der Jetstream kann südlicher verlaufen und kältere und feuchtere Witterungsphasen nach Mitteleuropa lenken. Für Deutschland ist mit einer Zunahme von Starkregenereignissen – insbesondere im Winter – zu rechnen. Zeitgleich könnten längere Trockenperioden in manchen Regionen (z. B. Süddeutschland) auftreten, wenn der Jetstream blockiert wird und Sturmtiefs seltener herangeführt werden (Meridional verlaufendes Strömungsmuster).
Regionale Unterschiede innerhalb Deutschlands
Nicht alle Regionen Deutschlands sind gleichermaßen betroffen. Im Norden und Westen sind stärkere Niederschläge und stürmischere Wetterlagen wahrscheinlicher, da die Tiefdruckaktivität entlang der Atlantikküste zunimmt. Der Süden könnte dagegen von einer abnehmenden Mittelmeeranbindung profitieren, was dort längere, trockenere Perioden zur Folge haben könnte. Insgesamt ist jedoch die Klima-Variabilität erhöht: Die Abfolge von heißen, regenreichen Phasen und kalten, trockenen Abschnitten wird unregelmäßiger.
Auswirkungen auf Landwirtschaft und Wasserhaushalt
Kältere Winter haben das Risiko von Spätfrösten im Frühjahr, gleichzeitig aber den Wasserhaushalt entlasten, wenn Schneemengen im Alpenvorland drastisch zunehmen. In Deutschland sind landwirtschaftliche Anbauzyklen auf verlässliche Temperatur- und Niederschlagsmuster angewiesen. Unvorhersehbare Kälteeinbrüche können zu Ernteausfällen führen, während intensivere Regenfälle Erosionsschäden und Nährstoffauswaschung begünstigen. Die heißen Trockenphasen im Sommer komplettieren die wenig verlässlichen Grundvoraussetzungen für die Landwirtschaft.
Städtische und infrastrukturelle Risiken
Städte wie Hamburg oder Bremen, stark auf Tiefdruck- und Sturmflutschutz angewiesen, müssten sich auf häufiger auftretende Sturmfluten einstellen. Auch das Verkehrsnetz – insbesondere Bahnverbindungen im Winter – wäre von häufigeren und intensiveren Schneefällen betroffen. Gleichzeitig kann unerwartete Kälte zu temporären Ausfällen bei Telekom- und Stromnetzen führen.
Langfristige Perspektive und Anpassung
Die Studie unterstreicht: Selbst wenn das derzeitige globale Temperaturtrend weiterhin steil ansteigt, kann der Nordatlantik punktuell temporäre Rücksetzer erleben, die Europa mit meridional Nord-Süd-Wetterlagen deutlicher spüren würde als die meisten anderen Regionen. Klimamodelle können solche abrupten Kipppunkt-Ereignisse zwar nur in wenigen Fällen simulieren, dennoch sollten sie in Risikobewertungen berücksichtigt werden. Für Deutschland heißt das: Anpassungsstrategien müssen flexibel sein und sowohl warmer, trockener Sommer als auch kalter, feuchter Winter im Sinne von resilienten Infrastrukturen und widerstandsfähiger Landwirtschaft abdecken.
Das Klima am Kipppunkt
Die aktuelle Forschung (Studie 10.1029/2025GL114611) legt nahe, dass ein tiefer Einbruch des subpolaren Wirbels im Nordatlantik lokal für Abkühlung sorgt, gleichzeitig aber das gesamte europäische Klimageschehen beeinflusst: kältere Winter, vermehrte Starkniederschläge und eine höhere Variabilität. Für Deutschland bedeutet dies, dass die bisher bekannten Erwärmungs-, Trockenheits- und Hitzetrends vorübergehend gedämpft werden können, obwohl langfristig die globale Erwärmung weiter voranschreitet.